WELT: Was macht man als Hoteltester den ganzen Tag?
Michael Bauer: Im Idealfall halte ich den Unternehmen, die mich beauftragen, einen Spiegel vor. Also wie nimmt der Kunde das Hotel und die Dienstleistungen des Unternehmens wahr?
WELT: Und dann testest du deutschlandweit und fährst dahin und bist dann sozusagen undercover unterwegs.
Michael Bauer: Ja, in der Tat. Ich bin undercover unterwegs, und ich mache es nicht nur deutschlandweit, sondern ursprünglich haben wir es weltweit gemacht. In Spitzenzeiten
waren es 55 Länder, in denen wir so tätig waren und haben dort halt die Hoteliers oder besser die gefühlte Temperatur vor Ort gemessen.
WELT: Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus, wenn du jetzt zu einem Hotel hinfährst und es dann testest?
Michael Bauer: Der typische Tag beginnt damit, dass ich mir erst einmal mein Ziel angucke. Wie der Internetauftritt ist. Ist es einfach zu surfen, baut sich die Seite schnell auf
und dann für mich viel, viel wichtiger ist der persönliche Eindruck. Das heißt, ich bin Old School: Ich greife zum Telefon, weil ich finde, das Telefon ist ein wunderbares Medium, um
herauszufinden, wie gut sind die Jungs am anderen Ende. Sind sie freundlich? Ein Lächeln kann man hören. Das ist im Prinzip ein untrügliches Signal für Qualität. Wie sind die am Telefon? Und dann
kommt der Moment der Wahrheit: Herr Bauer fährt ins Hotel und checkt ein. Bei einem klassischen Hoteltest haben wir immer einen Early-Check-in. Also möglichst kurz bevor ich überhaupt ins Zimmer
darf. Jetzt zeigt sich, wie flexibel sie mit diesem frühen Gast umgehen können. Bietet man mir wenigstens einen Drink an der Bar an oder ein Platz in einem Wartezimmer. Ja, und dann ist der Bauer
schon auf dem Zimmer, und dann geht‘s los. Als Hoteltester arbeitet man eine Checkliste ab, 1500 Einzelpunkte. Das kann man sich so vorstellen wie beim TÜV. Es gibt auf einer Checkliste eines
Hoteltesters nur zwei Zustände: geht oder geht nicht. Also schwanger oder nicht schwanger. Ein bisschen schwanger geht nicht. Also ist der Raum frei von Gerüchen. Wie ist die Beleuchtung? Ist der
Teppichboden staubfrei? Ein Blick ins Bad. Wie sieht‘s da aus? Finden wir schwarze Haare vom Vorgänger auf dem Boden und – für den Hoteltester natürlich wichtig – ein Blick unter das Leintuch. So
ein Matratzenschoner ist der Mikrokosmos eines Hotels. Da sieht man schon eine ganze Menge.
WELT: Kannst du uns mal ein paar Instrumente zeigen, die du immer zum Raumchecken dabei hast?
Michael Bauer: Ja, also: Der klassische Hoteltester hat natürlich immer einen Schallpegelmesser dabei. Wenn in meinem Bericht steht, ich konnte nachts nicht schlafen, es war
brutal laut, dann ist es subjektiv. Wenn ich allerdings sage, wir haben über 75 DB Schalldruck im Zimmer gemessen, und bei 70 DB kann man verdammt schlecht schlafen, dann ist es halt auch
objektiv. Das ist die erste Geschichte. Und was natürlich auch noch ein wichtiges Utensil ist, ist eine Schwarzlichtlampe. Weil dieses Licht macht natürlich peinliche Spuren auf Toiletten,
Brillen und Blutflecken und so was im Bad sichtbar. Und zweite Funktion: Man kann an einer Hotelbar wunderbar Flaschen damit markieren. Und wenn sich unter dem Leergut dann Flaschen befinden, die
keine Markierung haben, kann man davon ausgehen, der Barkeeper hat seine eigenen Flaschen verkauft. Das wäre eine Möglichkeit, nicht nur Hygiene, sondern auch Betrug aufzudecken.
WELT: Sind das die beiden Hauptinstrumente, oder hast du noch andere Sachen dabei?
Michael Bauer: Das nächste klassische Instrument für einen Hoteltester wäre im Prinzip ein Diktiergerät. Das ist fast das Wichtigste und nicht zu vergessen: die Kamera. Es ist
wichtig, wie sieht das Room-Service-Tablet wirklich aus? Wie sieht das Zimmer aus, bevor etwas gemacht wurde, nachdem es gemacht wurde? Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Und ein Bild ist halt
auch objektiv.
WELT: Das sind jetzt die Hard Facts. Geht‘s dann auch um die Soft Facts, also, z.B. wie sind die Mitarbeiter?
Michael Bauer: In der Tat. Es gibt zwei grundsätzliche Bereiche: Es gibt Ausstattungs- und Dienstleistungskriterien, Ausstattung, Kriterien, die Minibar und die Klimaanlage und
die Dienstleistungskriterien. Kriege ich nachts um 23.30 Uhr noch ein Clubsandwich? Wie ist der Eindruck beim Room Service? Oder noch schlimmer, was passiert denn, wenn es mir schlecht geht? Und
ich hätte gern morgens um 4 Uhr einen Kamillentee? Da wird es spannend. Oder auch eine Möglichkeit: Die Fernbedienung meines Fernsehers versagt morgens um zwei. Was passiert? Hab ich jetzt
Blackout, oder bietet man mir ein anderes Zimmer an. Und bei einem Hoteltester, das ist vielleicht der Unterschied, passieren möglichst viele kleine Geschichten, um zu gucken, wie geht die
Organisation oder der Mitarbeiter mit diesem kleinen Alltagsproblem um.
WELT: Also musst du dann immer faken, dass mal die Fernbedienung kaputt ist, oder du krank bist?
Michael Bauer: Die Krankheit muss ich nicht faken. Ich bin dann halt ein bisschen zerknittert am Telefon. Und in der Tat, ein guter Hoteltester hat immer leere Batterien dabei
oder auch mal Nagellack, um dann die Kontakte zu isolieren, um einen Fehler vorzutäuschen. Manchmal muss man auch ein bisschen tricky sein.
WELT: In was für Preisklassen bewegst du dich denn so? Welche Art von Hotels testest du?
Michael Bauer: Also, man kann sagen, wir fangen an, bei drei Sternen zu testen. Wenn wir dieses klassische 2-Sterne-Hotel haben oder den Gasthof zum schmierigen Löffel, da ist
einfach zu wenig zum Testen. Also, es geht bei uns bei drei Sternen los und dann natürlich bis in die Premium-Liga.
WELT: Übernachtest du dann privat auch noch in Hotels oder bist du dafür schon zu kritisch geworden?
Michael Bauer: Ich muss ja ab und zu privat in Hotels übernachten. Und das einzige gleich Berufskrankheit ist, dass natürlich bei mir schon immer ein bisschen die Checkliste
mitläuft. Also klassisches Beispiel: Wir gehen heute Abend essen, wir kriegen die Karte, wir setzen uns hin, und ich gucke trotzdem sofort auf die Uhr, um ein Gefühl zu kriegen, wie lange braucht
es, bis der Kellner die Bestellung aufnimmt? Ich glaube, die Dinge kann ich nicht mehr abstellen, das läuft halt einfach mit.
WELT: Magst du uns mal von deinem Ausbildungsweg erzählen?
Michael Bauer: Also, nach dem Abitur wollte ich ursprünglich direkt Hotelmanagement studieren. Aber dann habe ich realisiert, dass es in der Schweiz es eine Wartezeit gibt, und
dann habe ich drei Jahre gewartet, bis ich endlich einen Studienplatz bekommen habe. Dann bin ich nach Lausanne gegangen, und das war total spannend. Ich hatte in Französisch bis dato immer eine
Fünf. War ich auch stolz drauf, selbst im Abiturzeugnis eine Fünf in Französisch. Und nun? Das macht man nur mit Anfang 20 In völliger Selbstüberschätzung habe ich gedacht, ich könnte jetzt ein
Vollstudium in französischer Sprache beginnen. Es war ein bisschen heftig. Ich saß dann erst mal in Lausanne in einem Vorbereitungskurs, und da hat man mir in diesem cours préparatoire in sechs
Wochen 1800 Küchenworte ins Hirn geprügelt. Weil ist ja klar, wenn man irgendwas mit Hotel zu tun hat, beginnt man im ersten Jahr mit Production, also mit der Küche. Im zweiten Jahr geht man in
den Sérvice, im dritten Jahr lernt man was über Rezeption und Hoteltechnik und vor allen Dingen über Management. Und das vierte und letzte Jahr ist dann nur noch Hotelmanagement. Und ich musste
wirklich die Erkenntnis erlangen, es wäre besser gewesen, wenn ich die letzten Jahre vor dem Abi vielleicht ein bisschen Französisch gelernt hätte, weil ich wirklich alles brutal nachholen
musste.
WELT: Das Studium, war das gut? Hat dir das gefallen?
Michael Bauer: Das Studium war wirklich gut. Ich muss heute noch dankbar sein für den hohen Standard, den man mir da vermittelt hat. Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben
nie wieder so viel gebüffelt wie in diesen vier Jahren. Lausanne war in den 80er-Jahren definitiv die beste Möglichkeit, etwas über Hotels und Hotelmanagement zu lernen, hat heute immer noch
einen guten Ruf. Unbestritten auch heute noch ist eine Schweizer Hotelfachschule schon noch top of the top.
WELT: Wie bist du denn eigentlich Hoteltester geworden? Wie sah so dein Werdegang aus?
Michael Bauer: Nach der Schule bin ich drei Jahre geflogen, bei Lufthansa als Flugbegleiter, und da habe ich mich wahrscheinlich unheilbar mit dem Reisevirus infiziert. Dann habe
ich mir schon überlegt, wie könnte ich denn quasi meine Reiselust diesem Hobby frönen und gleichzeitig noch im Hotel arbeiten? Da bin ich draufgekommen: Ich könnte doch Hotels testen. Da hatte
ich halt Glück. Da war ich 1983 der Erste, der die Idee hierzulande hatte. Und wenn man eine Idee hat, dann läuft es meistens auch ganz gut. Und wie gesagt, am Schluss haben wir weltweit
Qualitätssicherung gemacht.
WELT: Das heißt, du hast dann ein großes Team aufgebaut, und ...?
Michael Bauer: Also, ein großes Team ist vielleicht etwas übertrieben. Ich habe mir sechs Leute aufgebaut. Alles Hoteldirektoren, also wirklich Leute vom Fach. Und ich denke, das
ist auch der Unterschied. Wir sind immer wie Unternehmensberater, wir sind ein Gesprächspartner auf Augenhöhe. Es geht ja darum, dem Hoteldirektor oder der Betriebsgesellschaft wirklich Tipps zu
geben. Also nicht nur die Untersuchung des Patienten, sondern auch ein Heil- und Kostenplan sozusagen zu erstellen. Also auch noch die Medikamente zu empfehlen, die es bräuchte, damit wir den
Betrieb auf ein höheres Servicelevel bringen.
WELT: Wie, würdest du sagen, hat sich dein Beruf über die Jahre verändert?
Michael Bauer: Seit 2012, muss ich sagen, hat sich der Markt dramatisch verändert. Es gibt so gut wie keine Hoteltester mehr, also keine wirklichen Hoteltester mehr. Es gibt zwar
noch die Jungs, die für billiges Geld irgendwelche Kreuzchen auf Checklisten machen. Aber mein Beruf im Prinzip ist ausgestorben. Das liegt am Internet. Also wurden wir oder unsere Branche auch
ein frühes Opfer der Digitalisierung. Das ist der disruptive Wandel, weil heute braucht man keinen Hoteltester mehr, sondern guckt auf TripAdvisor und Holidaycheck, und der Hoteldirektor heute zu
mir würde auch sagen: „Bauer. Was wollen Sie mir noch erzählen, was ich nicht schon weiß. Ich weiß doch, dass unser Kaffee schlecht schmeckt. Das lese ich 25 mal pro Tag auf Facebook. Allerdings,
wir haben erst für nächstes Jahr eine neue Kaffeemaschine im Budget. Und so lange müssen Sie den alten Kaffee trinken.“ Das ist halt, ja, das ist der Wandel der Zeit.
WELT: Wolltest du jemals selbst ein Hotel haben?
Michael Bauer: Das ist ganz nett, ich hatte nebenbei quasi auch noch den elterlichen Betrieb an der Backe. Landgasthof mit sieben Fremdenzimmer in Böblingen. Den hab ich nebenher
noch paar Jahre geführt, und dann kam noch ein Biergarten mit 400 Plätzen dazu. Also ich kann wirklich behaupten, ich kann nicht nur beraten, sondern ich kann es auch. Es gibt schon einen Teil in
mir, der sagt, es wäre doch toll, wenn ich es noch mal manchen Menschen, oder Gästen beweisen würde. Aber ich würde das auf den Bereich Küche beschränken. Also ein Hotel noch mal zu führen, würde
mir jetzt gerade keinen Spaß machen. Aber noch mal ein Restaurant in guter Lage mit einer perfekten Karte und einem perfekten Service. Und der muss nicht hochklassig sein, aber einfach eine tolle
Location mit tollen Mitarbeitern, denen es Spaß macht. Also richtige Gastgeberkultur. Das würde mir schon Spaß machen. Aber man darf ja auch noch ein paar Träume haben.